Bergwandern in Swanetien

Der Trekkingtourismus im nordgeorgischen Kaukasus entwickelt sich rasant

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Für die 57 Kilometer lange Wandertour nach Ushguli kommen vermutlich die meisten Tourist*innen nach Mestia. Die georgische Kleinstadt, eigentlich ein größeres Bergdorf, ist Hauptort des nördlichen Swanetien und liegt auf 1.500 Metern im Großen Kaukasus. Wo einst nur Bauernhäuser und die berühmten Koshki – circa 20 Meter hohe steinerne Wehrtürme aus dem 10. bis 13. Jahrhundert – standen, wurden in den letzten Jahren Dutzende Hotels, Restaurants und Souvenirlädchen gebaut. Der Tourismus entwickelt sich rasant.

Trotzdem bin ich Mitte Juni der einzige Gast in meiner Unterkunft. Marina und ihr Sohn Themo haben mich herzlich aufgenommen, Themo spricht gebrochenes Englisch. Beim gemeinsamen Essen gibt es selbst gemachten Joghurt mit Kirschmarmelade, mit Käse gefülltes Fladenbrot (Chatschapuri) aus dem Holzofen und Tomaten-Gurken-Salat mit Koriander. Auch in anderen Unterkünften wird es ähnliche vegetarische Speisen geben, mit denen man problemlos seinen Proviant für die Tagestouren auffüllen kann.

Von Mestia nach Ushguli
Die 57 Kilometer lange Wanderung von Mestia nach Ushguli dauert etwa vier Tage und ist mittelschwer. Sie bewegt sich in einer Höhenlage zwischen 1.400 und 2.700 Metern, insgesamt geht es 3.100 Meter bergauf sowie 2.100 Meter bergab. In den Orten gibt es einfache Übernachtungsoptionen, auch zelten ist möglich. Die Pässe sind zwischen Anfang Juni und späten Oktober begehbar, im Juli und August kann es voller werden.
Anreise: Mit dem Nachtzug von Tiflis nach Zugdidi, dann weiter mit einem öffentlichen Kleinbus (Marshrutka) nach Mestia.
Mehr Informationen: www.caucasus-trekking.com

Meine erste Etappe führt mich in das Dörfchen Tsvirmi, etwas abseits des Hauptweges. Ich fühle mich sofort in eine andere Zeit versetzt: Kühe, Schweine, Hühner und Hunde streunen auf den matschigen Wegen herum, die Felder werden noch von Hand bestellt und sind wie die Häuser gut eingezäunt, damit die Tiere ihren Unrat außerhalb hinterlassen. Nur drei Bauernhäuser bieten Übernachtung an, Abendessen und Frühstück fallen wieder großzügig aus.

Am nächsten Tag wandere ich auf 2.600 Meter. In der jüngsten Vergangenheit wurde hier ein neues Skigebiet gebaut, deshalb geht es auch zuerst über eine lange Schotterpiste, dann über blütenreiche Gebirgswiesen mit wunderbaren Ausblicken auf den schneebedeckten Gipfel des Tetnuldi (4.858 Meter).

Schließlich führt der Pfad in das verwunschene Dorf Adishi. Bis in die 1990er-Jahre lebte hier niemand, nachdem eine Lawine das Dorf zerstört hatte. Einige Häuser sind notdürftig repariert oder halbe Baustellen, viele aber noch Ruinen. Mal ist Strom da, dann wieder weg. Der Müll wird im Fluss entsorgt. Einzig die schöne Lage des Dorfes mit dem weiten Blick entlang des Flusses Adishchala hinauf in Richtung des auf 2.298 Meter Höhe abbrechenden Adishi-Gletschers ist kaum zu toppen.

Müll wird im Fluss entsorgt

Das Gästehaus ist heute etwas voller. Ich treffe Paare und Einzelgänger*innen aus Österreich, der Schweiz, Spanien, Kroatien und Deutschland. Zum Abendessen finden alle gerade so in der kleinen Küche Platz, gekocht wird auf dem Holzofen. Nach dem Essen gibt es selbst gebrannten Weinbrand (Chacha), der auf der Veranda in Plastikkanistern lagert.

Tags darauf scheinen alle Gäste aus allen Unterkünften im Dorf zur selben Zeit in dieselbe Richtung aufzubrechen. Der Pfad führt immer wieder an grasenden Kühen und Pferden vorbei bis kurz vor die Gletscherzunge. Hier muss man den Fluss queren. Wem die Strömung zu stark ist, kann sich von Pferden tragen lassen. Das kostet 15 Lari – knappe vier Euro, übrigens auch der Preis für ein normales Abendessen.

Danach geht der Weg dann steil hinauf zu einem Pass mit fantastischer Aussicht: auf den Gletscher, einige Viertausender und hinüber zum Maphrani Massiv, hinter dem auf fast 2.200 Metern Höhe das Ziel meiner Tour liegt: das UNESCO-Weltkulturerbe Ushguli. Zuvor muss ich jedoch nochmals tief hinunter in das Khalde-Tal, wo ich in Iprali übernachte und mir eine heiße Dusche gönne. Der Wasserboiler im Bad wird von einem kleinen Holzofen erhitzt, um den die nassen Wanderschuhe der Gäste trocknen. Meine stelle ich dazu.

Nach starken Regenfällen ist der Weg am frühen Morgen sehr matschig und meine Schuhe sind schnell wieder durchnässt. Ich bekomme unangenehme Blasen. Auch verlaufen die letzten Wanderkilometer direkt an der hochfrequentierten Zufahrtsstraße. In Ushguli ist vergleichsweise viel los, Tourist*innen in leichten Turnschuhen fotografieren einfach alles. Eindrucksvoller Blickfang ist das Kloster oberhalb der Siedlung mit seinem riesigem Kreuz, hinter dem sich der Schchara, der höchste Berg Georgiens auf 5.201 Meter erhebt.

Zurück nach Mestia fahre ich schließlich mit einem „Taxi“. Von diesem Shuttle-Service profitiert allerdings eine Art Mafia, die für ein volles Fahrzeug das Doppelte eines georgischen Monatsgehalts kassiert. Für mich ist der Betrag moderat, aber mich stört, dass von dem Geld nur sehr wenige Leute profitieren. Während der Fahrer wie ein Irrer über die Schotterpiste rast, denke ich darüber nach, wie lange Swanetien noch seine Urtümlichkeit und Gastfreundlichkeit bewahren kann. Und welche Rolle meine Reise dabei spielt.

Frank Balzer