Das einsame Grab in der Sierra Nevada

Wie deutsche NaturFreunde 1934 am Berg „Banner Peak“ in den Tod stürzten

Grab vor dem Banner Peak
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Wer die kalifornische Sierra Nevada auf dem spektakulären John Muir Trail durchwandert, kommt irgendwann auch am 3.946 Meter hohen Banner Peak vorbei. Am Fuße seines Nordwest-Gletschers steht diese Bronzetafel: „Hier ruhen Conrad – Anna Rettenbacher, die ihr Leben verloren, als sie im Sommer 1934 den Mt. Banner bestiegen. Die NaturFreunde Inc. San Francisco“.

Das kurze Leben der Rettenbachers beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts in Nürnberg. Conrad wird 1901 als Konrad Josef in eine kinderreiche katholische Arbeiterfamilie geboren. Anna Rosa, damals noch Hertel, wächst in einer protestantischen Gießerfamilie auf. Sie heiraten im August 1922, Heiligabend kommt schon das erste Kind, das jedoch bald stirbt. Die Zeiten sind hart, Anfang 1926 wandern beide in die USA aus.

Über New York und Philadelphia – wo sie sich amerikanischen NaturFreunden anschließen – kommen sie schließlich nach Kalifornien und finden Arbeit bei einer Familie Park, Anna als Gouvernante für die sechs Kinder, Konrad als Butler und Chauffeur. Im Januar 1932 besuchen die Rettenbachers zum ersten Mal das heute noch stehende Naturfreundehaus der NaturFreunde San Francisco. Die hatten sich bereits 1912 gegründet, um später gemeinsam mit den Ortsgruppen Oakland und Los Angeles die „California Nature Friends“ zu bilden. Anna und Conrad nehmen fortan regelmäßig an deren Veranstaltungen teil: wandern, klettern, Traditionspflege.

Ein verlassenes Lager am Banner Peak
Ende Juli 1934 verabschieden sich die beiden dann bei der Familie Park für eine Woche zum Trekken. Es geht auf den John Muir Trail. Am 28. Juli sprechen sie mit einem Ranger des Yosemite-Nationalparks. Vermutlich ist er der Letzte, der Anna und Konrad lebend sieht. Als ihre Angestellten am 10. August immer noch nicht wieder da sind, meldet Familie Park das Ehepaar als vermisst. Ein Forstangestellter berichtet von einem verlassenen Lager in der Nähe des Banner Peak, die Beschreibung passt auf das Zelt der Rettenbachers. Drei Teams sind im Einsatz, erstmals in der Geschichte der Bergrettung in der Sierra Nevada wird dabei ein Funkgerät eingesetzt. Doch es finden sich keine Spuren, auch das Gipfelbuch verzeichnet keinen Eintrag.

Haben Anna und Conrad Rettenbacher vielleicht noch lebende Verwandte? Der Autor freut sich über Rückmeldungen: harv.galic@gmail.com

Erst Norman Clyde, einer der damals besten Kletterer in der Sierra kommt dem Drama auf die Spur. Er folgt einem Weg, den unerfahrene Kletterer ohne Ortskenntnis vielleicht nehmen würden. Dieser führt über einen Rücken zu einer Einkerbung, die zwar den Blick auf den scheinbar nahen Gipfel freigibt, doch zu einer äußerst gefährlichen Wand führt. Eine Sackgasse. Hunderte Meter darunter: der steile Nordwest-Gletscher. Mit einem Fernglas sucht Clyde den Gletscher ab – und tatsächlich: der gebrochene Körper eines Mannes. In einer halsbrecherischen Kletterei steigt er ab und findet in einer Gletscherspalte schließlich auch die zu Tode gestürzte Anna.

Die Rettenbachers waren nicht angeseilt
Das Ehepaar hatte nach stundenlangem Klettern offensichtlich die falsche Entscheidung getroffen. Statt umzukehren und am nächsten Tag eine andere Route zu suchen, wählten sie das Risiko in der Wand. Der Gipfel schien wahrscheinlich so nah. „Sie waren nicht angeseilt“, berichtete Clyde später. „Vielleicht wurden sie von einem Steinschlag überrascht oder einer wollte dem anderen irgendwie helfen.“

Anna und Konrad Rettenbacher wurden auf einer Wiese unterhalb des Gletschers begraben. Im Jahr darauf wanderten mehr als 30 Natur- Freunde aus San Francisco zum Banner Peak, um mit einer Bronzetafel das einsame Grab zu markieren. Es liegt in einer der schönsten Gegenden der Sierra Nevada. Im Winter gibt es bis zu fünf Meter Schnee, und wenn im Frühling die Wildblumen sprießen, kommen die Wanderer.

Hrvoje Galic, NaturFreunde Kalifornien
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der NATURFREUNDiN 1-2016.