Drei NaturFreundinnen für den Aufbau Ost

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Der "Brandenburger Sandlatscher", die Vierteljahresschrift der NaturFreunde Brandenburg, sprach mit den NaturFreunde-Landesvorsitzenden Anja Zachow (Thüringen), Almut Thomas (Sachsen) und Grit Gerau (Brandenburg): 

Mehr als ein Vierteljahrhundert sind unsere Landesverbände in Ostdeutschland seit ihrer Wiedergründung alt. Wie ist eure Bilanz? Was lief gut? Und was lief nicht?

Anja Zachow 25 Jahre klingt nach einer langen Zeit. Aber wenn wir es mal als Lebensalter verstehen, sind die Landesverbände  im Osten eigentlich noch ziemlich jung. Wenn man so will, sind wir in den wilden und aufregenden Jahren, probieren vieles aus, machen nicht alles richtig, aber das meiste mit viel Spaß. Wir wissen schon ganz gut, was wir wollen und was nicht. Und haben trotzdem noch nicht auf alle Fragen eine Antwort – das Alter soll ja auch seine Vorteile haben. Blicken wir also gespannt in die Zukunft.

Almut Thomas 800 Mitglieder sind gegenwärtig in 11 Ortsgruppen in Sachsen organisiert. Ist das Glas deshalb halb voll oder halb leer? Ein Vergleich zu den Zeiten der NaturFreunde Sachsen in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit mehr als 14.000 Mitgliedern wäre unrealistisch. Die Wiedergründung war für uns quasi ein Neuanfang. Heute sind wir wieder fest in die Verbändelandschaft Sachsens integriert. Die Arbeit im Verein geht mit der Zeit, dieser Tatsache müssen sich auch die NaturFreunde stellen. Wir können mit dem Erreichten durchaus zufrieden sein, ohne in Selbstgefälligkeit zu verfallen. Engagement in einem Verein hat heute seine Selbstverständlichkeit verloren, insbesondere weil Freiwilligkeit heute im Vergleich zu den Vorwendejahren einen großen Stellenwert besitzt und uns auch ein riesige Angebotsvielfalt umgibt. Unser Programm beinhaltet vielfältige Angebote. Dabei möchten wir gern unsere Kompetenz im Bereich Umwelt- und Naturschutz intensivieren. Erste zarte Pflänzchen in Form von Arbeitsgruppen in einigen Ortsgruppen lassen diesbezüglich hoffen.  Bisher arbeiten wir, abgesehen von der Naturfreundejugend, ausschließlich ehrenamtlich. Eine hauptamtliche Unterstützung unserer Arbeit wäre wünschenswert.

Grit Gehrau In seiner Entwicklung konnte unser Landesverband ansehnliche Erfolge verzeichnen. Zunächst sind wir im Land Brandenburg ministeriell anerkannter Naturschutzverband und anerkannter Jugendverband und sind in der Verbändelandschaft der „Anerkannten“ mit unserer Arbeit etabliert. Unsere Leistungen stehen und fallen mit unseren Gruppen und wir dürfen mit etwas Stolz sagen, dass unsere Mitglieder im Vergleich der brandenburgischen Verbändelandschaft überdurchschnittlich aktiv sind. Wir können auf drei sehr erfolgreich durchgeführte Bundeswandertage, einen in Brandenburg ausgerichteten Bundeskongress und sogar eine europäische „Landschaft des Jahres“ zurückblicken, die zusammen mit dem Folgeprojekt „Natur -und Kulturwege“ das „Lebuser Land“ als gemeinsame deutsch-polnische Region deutschlandweit wieder bekannt machte. Alle unsere Ortsgruppen haben eigene NaturaTrails entwickelt. Unser Jugendverband führt seit vielen Jahren  integrative Seminare fast monatlich und mindestens zwei Ferienlager  jährlich erfolgreich durch und hat seit 2012 als einer der ersten Jugendverbände im Land Brandenburg jugendliche Geflüchtete in seine Aktivitäten einbezogen. Weniger gelungen ist bisher die Entwicklung der Mitgliederstärke. Zwar konnten wir in den letzten 10 Jahren sechs neue, sehr aktive Ortsgruppen gründen, jedoch blieb unsere Mitgliederzahl – vor allem durch altersbedingte Verluste - relativ konstant.

Was waren die Voraussetzungen für das, was eure Verbände erreicht haben? Und welches sind die Gründe dafür, dass Vorhaben nicht erfolgreich waren?

Anja Zachow Wir haben – ausgehend vom Jugendbereich, später dann auch sehr erfolgreich im Erwachsenenverband – darauf gesetzt, dass unsere Ideen und Vorhaben für eine bessere Gesellschaft und für sinnvolle Freizeitgestaltung so gut sind, dass sie externe Fördermittel verdienen. So konnten wir unsere Arbeit durch MitarbeiterInnen in der Geschäftsstelle sehr gut professionalisieren und im Ehrenamt viele Zeit für die eigentliche Arbeit freischaufeln. Wir haben einen guten Namen in Thüringen. Mindestens so wichtig ist aber auch die Durchlässigkeit von Jung nach Alt, also die Verbindung der NaturFreundejugend mit dem Erwachsenenverband. Auch hier sind wir sehr stolz darauf, dass wir insgesamt ein recht junger Landesverband sind.

Almut Thomas Wir können mit einem gewissen Stolz auf das schauen, was wir bisher erreicht haben. Das ist dem ehrenamtlichen Engagement eines jeden Mitglieds in all unseren Ortsgruppen zu verdanken. Aber natürlich gab es auch Projekte, die uns nicht gelungen sind. Nicht erfolgreich waren wir beispielsweise bei der Gründung eines eigenen Häuserwerkes in Sachsen.  In die Vorbereitung dieses Projekts haben wir sehr, sehr viel Zeit und Kraft investiert und vielleicht an der einen oder anderen Stelle unsere sonstige inhaltliche Arbeit aus dem Auge verloren. Das Scheitern des Häuserwerkes auf Bundesebene setzte dieser Idee ein jähes Ende. Nach dem Scheitern des Projektes haben wir unser Augenmerk stärker auf die inhaltliche Weiterentwicklung unserer naturfreundlichen Angebote gelegt, mit Erfolg glaube ich.

Grit Gehrau Voraussetzungen für die Leistungsentwicklungen des Verbandes war zunächst die Unterstützung durch die NaturFreunde Deutschlands sowie in erheblichem Maße die Förderung des Landes Brandenburg als Naturschutz- und als Jugendverband. Die Förderung bezieht sich jedoch explizit auf die damit verbundenen zur erbringenden Leistungen. Für die verbandsinterne Entwicklung bedarf es weiterer Kapazitäten. Hier fehlt es uns deutlich an mehr Betreuungs- und Entwicklungskapazitäten, denn ohne intensives Engagement direkt vor Ort mit dem erklärten Ziel der Mitgliedergewinnung lassen sich leider erfahrungsgemäß kaum Mitglieder gewinnen.

Was sind heute eure Schwerpunkte? Welche größeren Projekte fasst ihr ins Auge?

Anja Zachow Wir sind in Sachen „Stärken-BeraterInnen“ seit ein paar Jahren unterwegs, also in der Ausbildung von Ehrenamtlichen, die andere Ehrenamtliche in der Arbeit für Demokratie und Mitbestimmung unterstützen. Diese Idee auch über Thüringen hinaus zum Erfolg zu führen, daran arbeiten wir gerade und hoffen, dass das zum Nutzen vieler NaturFreundinnen und NaturFreunde auch klappt.  Darüber hinaus setzt unser Jugendverband sehr stark auf ein breites Angebot an außerschulischer Bildung und ist im internationalen Jugendaustausch aktiv. Im Erwachsenenverband liegt ein weiterer Schwerpunkt in der Entwicklung von modernen Familienangeboten.

Almut Thomas Schwerpunkte sind neben dem Ausbau unserer natursportlicher Angebote und die Stärkung  unserer Ortsgruppen, die Ausrichtung der Bundeswandertage 2018 in Seifhennersdorf.

Grit Gehrau Schwerpunkte bleiben unsere naturkundlichen Exkursionen, etwa auf unseren NaturaTrails, die naturschutzrechtliche Beteiligung an Planungsverfahren und abwechslungsreiche Angebote in der Jugendarbeit. Wir haben das Projekt „Stärkung  und Entwicklung des Landesverbandes“ entworfen, um die Mitgliederzahl im Gesamtverband und der Jugend zu erhöhen. Wir wollen insbesondere unsere Naturschutz- und Umweltbildungsakteur*innen stärken, entsprechende Angebote ausbauen und personelle Kapazitäten bereitstellen.

Wo seht ihr euren Verband  in den nächsten 25 Jahren?

Anja Zachow Kommen wir nochmal zurück auf die Lebensalter-Theorie vom Anfang: Mit 50 sind wir vielleicht ein wenig ruhiger, gesetzter, aber noch voller Tatendrang. Die Ehrenamtlichen von heute sind ein wenig älter, aber die Jungen sind nachgewachsen, haben Lust auf Zukunft und das Ruder fest in der Hand. Wir freuen uns schon drauf.

Almut Thomas In 25 Jahren sind wir DER solidarische und nachhaltige Freizeitverband in Sachsen mit mehr als 2000 Mitgliedern, die in mehr als 20 Ortsgruppen organisiert sind.

Grit Gehrau Ich stelle mir einen weiterhin etablierten, jedoch bekannteren Verband vor. Ich hoffe auf eine deutlich stärkere Mitgliederzahl und viele attraktive NaturFreunde-Angeboten, sowohl im sozialen wie auch ökologischen Bereich!

Was könntet ihr aus den Erfahrungen in euren Landesverbänden anderen NaturFreunden auf den Weg geben? Habt ihr einen „Exportschlager“?

Anja Zachow Unser Exportschlager „Kinderwagenwanderungen“ ist mittlerweile schon recht bekannt. Was wir auch sehr gerne weiterempfehlen, ist „Politik im Grünen“. Oder aber unser „Kompass-Magazin“, das mittlerweile rein ehrenamtlich erscheint. Alles kein Hexenwerk, sondern viele gute Ideen, die ihr anderen gern abschauen könnt.

Almut Thomas Was in Sachsen funktioniert muss in anderen Bundesländern noch lange nicht funktionieren. Eine Erfahrung, die wir bei der Einbindung von Mitgliedern gemacht haben, ist die Arbeit in Arbeitsgruppen. Dadurch entstehen neue Verantwortlichkeiten und eine stärkere Einbindung in die Arbeit des Vereins. In diesem Jahr haben wir erstmals NaturFreundeTage organisiert. „Wir bewegen und wir bewegen uns“, lautete unser Motto. Natursportliche Angebote, umweltpolitische Diskussionen, zwangloser Erfahrungsaustausch und jede Menge Spaß bei Sport und Spiel und abendlichem Feuer waren ein voller Erfolg. Diese Art eintägige „NaturFreundemesse“ könnte auch bei euch umgesetzt werden. Sehr erfolgreich war zudem unsere Geschichtskonferenz im vergangenen Jahr. Zeitzeugen berichteten, wie sie versuchten nach 1945 die Idee der Naturfreunde in Sachsen lebendig zu gestalten. In der Zeit 1945 bis 1989 erfolgte dies ohne eigene Verbandsstruktur. Im Dezember 1989 erfolgte schließlich der Aufruf zur Wiedergründung der Naturfreunde in der DDR. Ich glaube, eine solche Veranstaltung könnte auch in anderen Landesverbänden großes Interesse hervorrufen.

Grit Gehrau Bei der Jugend hat die Einbeziehung junger Geflüchteter in unsere Verbandsarbeit diese sehr bereichert. Das ist gegenseitiges Nehmen und Geben. Die ersten  jungen Geflüchteten sind bei uns Mitglieder geworden. Durch die erstmalige Teilnahme vier junger Geflüchteter durch unsere „Vermittlung“ beim Kindergipfel der NFJD ist auch die Zusammenarbeit mit der NFJD intensiver geworden. Vorreiter innerhalb des Bundesverbands sind wir aus meiner Sicht bei Fragen der Öffentlichkeitsbeteiligung und umweltrechtlichen Instrumenten.  „Leuchttürme“ sind aus meiner Sicht unsere NaturaTrails, ein Gemeinschaftswerk unserer Ortsgruppen und des Landesverbands. Sie sind im Land Brandenburg als Naturschutz- und Umweltbildungsprojekt hoch anerkannt und haben eine starke Bindungswirkung in unseren Gruppen entwickelt.

Und was wolltet ihr dem NaturFreunde-Bundesverband schon immer mit auf den Weg geben?

Anja Zachow Der Verbandsentwicklungsprozess, bei dem sich der Bundesverband gerade erst auf den Weg macht, ist bei uns schon im vollen Gange. Wir mussten uns von Anfang an in einem extrem schwierigen Umfeld behaupten und unsere Landesverbände fast von Null wieder aufbauen. Das hat uns mehr Möglichkeiten zum Ausprobieren gegeben, aber auch sehr viel Kraft und Ausdauer für die Aufbauarbeit erfordert. Nach wie vor können wir keine großen Mitgliederzahlen vorweisen, aber wir haben doch einige Erfahrungen zu bieten, von denen  der gesamte Verband profitieren kann. Wenn wir jetzt mit den endlich ausgezahlten Restitutionsmitteln für das von den Nazis beschlagnahmte Vermögen der Ost-Landesverbände auch mal ein größeres Vorhaben anschieben könnten – das wäre doch mal was.

Almut Thomas Wichtig bleibt, dass die Idee der NaturFreunde durch Projekte und Kampagnen in die Öffentlichkeit getragen wird. Der Bundesverband sollte diese Arbeit so gestalten, dass damit vor allem die Mitglieder in den Ortsgruppen angesprochen werden.

Grit Gehrau Zuvorderst ist der Bundesgruppe, Jugend wie Gesamtverband, zu danken. Etwa für die anfängliche Unterstützung bei den Mitgliederbeiträgen, aber auch bei einzelnen Projekten. Zudem wollen wir der Bundesgruppe Anerkennung zollen für viele Kampagnen und Projekte für Landesverbände, Ortsgruppen und Jugend, wie auch die NATURFREUNDiN, die ein gutes Schaufenster für uns alle ist und die in Brandenburg ihren Platz auch in der Landesbibliothek hat. Was uns Ostdeutsche angeht - es kommt nicht nur auf die Mitgliederzahl an – sondern auf das Engagement jedes einzelnen Mitglieds. Andererseits sehe ich uns nicht über der kritischen Masse. Stabile NaturFreunde-Ortsgruppen - das hat eine NaturFreunde-Untersuchung gezeigt - haben nicht nur ausreichend aktive Mitglieder sondern auch eine Infrastruktur, wie NaturFreundeHäuser oder auch Sporthallen o.ä., und Rücklagen. Insofern sehe ich die nun an den Bundesverband geflossenen Restitutionsmittel aus der Entschädigung für enteignete NaturFreundeHäuser in Ostdeutschland als Möglichkeit, um den vernichtenden Schnitt im ostdeutschen NaturFreundeleben durch die Nazizeit und die nicht erfolgte Rückgabe der Häuser nach 1945 teilweise auszugleichen und uns zu stabilisieren.  

Das Interview erscheint in Ausgabe 4/2016 des "Brandenburger Sandlatschers"