Eine Wanderung im Nationalpark Kellerwald

Ein Bericht von Anja Kraus von den NaturFreunden Lauterbach/Vogelsberg

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Ende September 2022 verabredeten sich sechs Personen zum Start einer vielversprechenden fünftägigen Wanderung auf dem Urwaldsteig in Hessen.

Die menschengemachte Erderhitzung hatte den Edersee, der sich schlangenförmig im alten Flussbett der Eder entlang windet, in der vorderen Hälfte der Eder völlig ausgetrocknet. Dort, wo die Eder in den See mündet, konnten wir beobachten, wie Kormorane, Störche und andere Wasservögel sich Wiesen und Sumpfgebiete zurückerobert haben.

In Gedenken an die Opfer

Nach einiger Zeit der Wanderung durch den wilden Wald machten wir Halt am sogenannten „Polenkreuz". Wir lasen bedrückt die Schautafeln. In Herzhausen hatte ein junger polnischer Zwangsarbeiter in den Vierzigerjahren einen SA-Polizisten erschossen, um zu flüchten. Zur Vergeltung wurden an diesem Platz neun polnische Menschen erhängt. Sie waren Häftlinge des damaligen Arbeitserziehungslagers Guxhagen/Breitenau. Wir verweilten einige Zeit zum Gedenken und setzten dann unsere Wanderung fort.

Nach einer Nacht in einem Seminarhaus ging die Wanderung weiter am Edersee entlang. Eine Brücke, die Anfang des Jahrhunderts gebaut wurde, wurde sichtbar sowie die Betonplatten auf Gräbern eines versenkten Friedhofs, die verhindern sollten, dass im Edersee Knochenteile auftauchen.

Der Urwaldsteig

Am Urwaldsteig selbst fanden sich immer wieder Steinhaufen nach der Art der südamerikanischen indigenen Völker, mit denen sie die Schutzheiligen der Landschaften um Erlaubnis bitten, diesen Fleck Erde zu betreten. In der „Pachamama Philosophie" sind nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch Gesteine und Landschaften beseelt und werden mit Wertschätzung behandelt.

Nachdem wir etwa die Hälfte der Nordseite des Edersees als Wiesenlandschaft entlang gewandert waren, sah man tief im Tal langsam die Eder zu einer Ederseepfütze werden. Zauberhaft war auf der ganzen Strecke der Urwald. Auf großen umliegenden Buchen wuchsen trotz der Trockenheit Austernpilze, sogar auf einem Urwaldsteigschild bildeten sie ein kleines Dach.

Am ehemaligen Zuchthaus Burg Waldeck

Schließlich gelangten wir zur Burg Waldeck. Die Burg ist ein ehemaliges Gefängnis. Auch hier gingen wir zu einem Gedenkstein für die gestorbenen Gefangenen. Die Waldecker Bürgerschaft wollte nämlich nicht mit den Strafgefangenen gemeinsam auf einem Friedhof liegen und hatte neben der Burg einen eigenen kleinen Ort zum Verscharren der Leichen geschaffen, für alle toten Gefangenen gibt es heute nur einen Stein ohne Namen. Auch hier legten wir eine kleine Gedenkpause ein.

Am Hexenkopf und Teufelsgraben

Vor dem Teufelsgraben fanden wir eine Gedenktafel mit folgendem Text vor: „Berichte erzählen davon, dass die verurteilten Hexen in das heutige Bad Wildungen zur Aburteilung gebracht wurden.“

Zur Klarstellung: Es gab keine verurteilten Hexen. Es gab verurteilte Frauen, die als Hexen diffamiert und dann hingerichtet wurden. Aber statt einem Gedenkstein für die ermordeten Frauen gab es hier einen Bericht über verurteilte Hexen. Diese Tafel ist ein Ausdruck unverarbeiteter patriarchaler Gewalt, die noch heute in den Köpfen der „herrschenden Meinung“ herumspukt.

Wir gingen weiter. Durch einen steilen Pfad gelangten wir zum ehemaligen jüdischen Reinigungsbad von Waldeck, der Mikwe. Die geschichtliche Aufarbeitung der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung hat bewirkt, dass hier zumindest eine Gedenktafel steht.

Entstehung der Triesche

Unsere letzte Etappe nahte. Am nächsten Tag wanderte ein Teil der Gruppe durch die südliche Kernzone des Nationalparks zu ehemaligen Ansiedlungen im Besitz der Klöster der Zisterziensermönche. Die zweite Gruppe ging den etwas kürzeren Weg über den Urwaldsteig. Später trafen wir uns in einem Gasthof wieder.

Die Anbauflächen der Zisterziensermönche wurden früh wegen geringem Ertrages aufgegeben, welche dann zu Trieschen, Weidegebieten für die umliegende Bevölkerung und schließlich zum nicht genutzten fürstlichen Jagdgebiet wurden, dem heutigen Nationalpark.

Verbunden hat uns während der gesamten Wanderung die Liebe zum urwüchsigen Wald sowie eine gemeinsame Haltung zur Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeit auf unserem Planeten. Im Naturschutzzentrum Edersee endete unsere Wanderung und vergnügt und erholt machten wir uns auf die Heimreise.

Anja Kraus
NaturFreunde Lauterbach/Vogelsberg