Viktor Frankl stand noch mit Sigmund Freud in engem Austausch. Der Wiener Psychiater und Neurologe begründete die sogenannte Logotherapie, die als „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“ gilt und die Sinnsuche als primäre Motivationskraft des Menschen betrachtet.
Weniger bekannt hingegen ist, dass Frankl aus der Sozialistischen Arbeiterjugend Österreichs kam und bei den NaturFreunden mit dem Bergsteigen begann. Dabei könnte man das wissen, zumindest wenn man auf der Rax südlich von Wien unterwegs ist. Drei ambitionierte Klettersteige sind nach ihm benannt, unter anderem die „Prof-Viktor-Frankl-Kante“ am Peilstein.
Frankl wurde 1905 in eine eher bürgerliche jüdische Familie geboren. Schon während seiner Schulzeit beschäftigte er sich mit der Psychologie, als 18-Jähriger suchte er den Kontakt zu Sigmund Freud und Anfang zwanzig arbeitete er bereits sein Verständnis der Psychologie aus. Seine Arbeit war erfolgreich: Ab 1928 richtete er in sieben Städten Jugendberatungsstätten ein. 1930 organisierte er anlässlich der Zeugnisverteilung eine Beratungsaktion – mit dem Ergebnis, dass erstmals seit vielen Jahren in Wien kein Schülersuizid mehr zu beklagen war.
Bis 1934 kletterte Frankl bei den NaturFreunden
Neben seiner Arbeit ging Frankl oft zum Klettern. „Die Rax hat mich immer fasziniert. Wenn ich übers Plateau ging, war das die einzige Zeit, in der ich meditieren konnte“, berichtete er einmal. Bis 1934 kletterte er bei den NaturFreunden, nach deren Verbot dann in der Alpenvereinssektion „Donauland“.
Die galt als jüdische Sektion, war jedoch überkonfessionell. Aber da fast alle anderen Alpenvereinssektionen „Arierparagrafen“ hatten, war „Donauland“ neben den NaturFreunden beinahe das einzige Bergsportangebot für Juden – und für alle, die den Antisemitismus im Deutsch-Österreichischen Alpenverein und den anderen bürgerlichen Klubs nicht aushalten wollten. Frankl wurde Bergführer und unternahm etliche schwierige Hoch- und Klettertouren. 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs, wurde schließlich auch „Donauland“ verboten.
Als Arzt hatte Frankl von 1940 an die Leitung der Neurologischen Station am Wiener Rothschild- Spital inne, wo nur Juden betreut wurden. Frankl sabotierte dort die angeordnete Euthanasie von sogenannten Geisteskranken, indem er falsche Diagnosen in seine Gutachten schrieb. Ein Visum in die USA ließ er ungenutzt, weil er seine Eltern nicht im Stich lassen wollte.
1942 wurde das Ehepaar Frankl – Viktor hatte 1941 geheiratet – nach Theresienstadt deportiert. Auf sein Bergführerdiplom war er so stolz, „dass ich das Abzeichen noch in die Konzentrationslager mitnahm“, berichtete er später. Sein Vater starb bereits hier, seine Mutter wurde später in Auschwitz vergast, seine Frau ließ in Bergen-Belsen ihr Leben.
Frankls Erfahrung als Alpinist halfen ihm in Auschwitz
Viktor kam über Auschwitz nach Kaufering und Türkheim, beides Nebenlager von Dachau. Dort wurde er am 27. April 1945 befreit. Dass er Auschwitz überlebte, führte er auf seine Erfahrung als Alpinist zurück: „Es bedarf der sogenannten Frustrationstoleranz – und die muss man trainiert haben.“
Nach 1945 begann Frankl mit enormem Ehrgeiz zu arbeiten. Mit seinem Buch „Ärztliche Seelsorge“, dessen Manuskript er schon vor dem KZ geschrieben hatte, habilitierte er sich. Ein Bestseller wurde sein psychologischer Bericht „... und trotzdem Ja zum Leben sagen“, Untertitel: „Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“.
Interessanterweise ging er nicht zu den NaturFreunden zurück, sondern in den Alpenverein. So richtig heimisch wurde Frankl dort jedoch nicht. Dem Journalisten Lutz Maurer erzählte er, dass noch im Jahr 1987 zum 125. ÖAV-Jubiläum rund 40 Mitglieder gedroht hätten, wegen ihm als Festredner den Saal zu verlassen. Am Ende wurde, so wird berichtet, jedoch stehend applaudiert. Die Delegierten hatten aufatmend zur Kenntnis genommen, dass ihr jüdisches Mitglied die Rede von einer deutsch-österreichischen Kollektivschuld zurückgewiesen hatte.
Viktor Frankl war bis zu seinem Tod im Jahr 1997 Professor an der Wiener Universität und hatte zahlreiche Gastprofessuren. Auch kletterte er bis ins hohe Alter. Das „Viktor Frankl Zentrum“, ein Museum, das sich seinem Leben und Werk widmet, veranstaltete einige Jahre ein „Philosophicum Rax“ – auf Frankls geliebtem Hausberg.
Martin Krauss
(ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Sport und unter anderem Autor von "Der Träger war immer schon vorher da")