NaturFreunde solidarisieren sich mit angeklagten Pestizid-Kritikern

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Weil sie den massiven Pestizideinsatz in Südtirol öffentlich kritisiert hatten, müssen sich der Agrarexperte Karl Bär vom Umweltinstitut München und der österreichische Buchautor Alexander Schiebel in der kommenden Woche vor Gericht verantworten. Den Betroffenen drohen bei einer Niederlage nicht nur Haft- und Geldstrafen, sondern auch Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe – und damit der finanzielle Ruin. Die NaturFreunde erklären sich solidarisch mit den Angeklagten.

Anlass der Klage gegen Karl Bär, einen Mitarbeiter des Umweltinstituts München, ist die provokative Kampagne „Pestizidtirol" im Sommer 2017. Mit der Kampagne machte das Umweltinstitut auf den hohen Einsatz von Spritzmitteln im Südtiroler Obstbau aufmerksam. Im selben Jahr erschien das Buch "Das Wunder von Mals" des Filmemachers Alexander Schiebel. Darin erzählt dieser die Geschichte des Dorfes Mals im Vinschgau, dessen Bewohner*innen sich per Bürgerentscheid zur ersten pestizidfreien Gemeinde Europas erklärt haben.

Der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft und damalige stellvertretende Landeshauptmann Arnold Schuler begegnete der Kritik am Pestizideinsatz mit Strafanzeigen wegen übler Nachrede. Mehr als 1.600 Landwirt*innen aus Südtirol schlossen sich der Anzeige an. Nun hat die Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Bozen Anklage gegen die Pestizid-Kritiker erhoben, Prozessauftakt ist am 15. September. Neben Bär und Schiebel drohen auch dem Vorstand des Umweltinstituts sowie dem oekom verlag als Verleger Schiebels Strafprozesse.

Gemeinsam mit etwa 100 weiteren Umweltorganisationen aus ganz Europa stehen wir hinter den Pestizid-Kritikern und haben die folgende Solidaritätserklärung unterschrieben, die zum Prozessauftakt am 15. September in den großen italienischen Zeitungen "La Republica" und "La Stampa" veröffentlicht wird:

Solidaritätserklärung

Der intensive Obstbau in Südtirol hat seinen Preis: Jüngste Daten des italienischen Statistikamts bestätigen, dass der Verkauf von Pestiziden pro behandelbarer Fläche in Südtirol der zweithöchste aller italienischer Provinzen ist und den italienischen Durchschnitt um das Sechsfache übersteigt. Die eingesetzten Gifte verbreiten sich über den Wind und finden sich noch kilometerweit entfernt auf biologisch bewirtschafteten Feldern, Spielplätzen, Radwegen und sogar in entlegenen Bergtälern wieder. Über dieses Problem wird seit Jahren in Südtirol diskutiert.

Doch statt sich auf eine offene Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft einzulassen, versuchen der Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler und viele Südtiroler Landwirt*nnen, die Pestizid-Kritiker*nnen durch Klagen mundtot machen. Die Betroffenen werden mit jahrelangen Prozessen überzogen und sind gezwungen, ihre Ressourcen dafür aufzuwenden. Selbst bei einem Freispruch bleiben sie oftmals auf hohen Anwaltskosten sitzen. Im schlimmsten Fall droht ihnen bei einer Verurteilung sogar der persönliche Ruin durch gewaltige Schadensersatzforderungen. Kritik an Missständen offen und angstfrei äußern zu können – auch in zugespitzter Form – ist ein elementarer Bestandteil jeder funktionierenden Demokratie. Deshalb blicken wir mit großer Sorge auf diese Entwicklung in Südtirol. Zugleich sind wir entschlossen, solche Einschüchterungsversuche nicht hinzunehmen.

Wir erklären uns solidarisch mit dem Umweltinstitut München, dem Buchautor und Filmemacher Alexander Schiebel („Das Wunder von Mals“), seinem Verleger Jacob Radloff (oekom verlag) und allen anderen, die in Südtirol wegen ihres Engagements gegen Pestizide vor Gericht stehen oder standen. Wir werden uns ebenso wenig wie sie zum Schweigen bringen lassen und jetzt erst recht thematisieren, was sich in Südtirol und anderswo in der Landwirtschaft ändern muss. Die Kläger*innen fordern wir dazu auf, ihre Klagen unverzüglich zurückzuziehen und den Streit um den Pestizideinsatz dort zu führen, wo er ausgetragen werden muss: in der Gesellschaft und in den Parlamenten, nicht vor Gericht.