Der „Green Deal“ der EU zwischen Corona-Krise, Transformation und drohendem Rückschritt

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Mit Engagement fordern junge Menschen angesichts von Klimawandel und Artensterben einen neuen Generationenvertrag, der die Zukunft im Blick hat. Zentrale Parolen ihres Protestes lauten „There is no planet B!“ (Es gibt keine zweite Erde) und „System Change!“, also eine grundlegende Änderung unserer Art zu wirtschaften.

Soziologen nennen diesen Wandel „sozial-ökologische Transformation“. Weil das etwas sperrig klingt, ist auch vom „Green New Deal“ die Rede. Die EU-Kommission hingegen will mit einem „European Green Deal“ die Emissionen von Treibhausgasen bis 2050 auf null reduzieren.

Im Jahr 1932 brachten die verheerenden Folgen der Weltwirtschaftskrise dem Demokraten Franklin D. Roosevelt den Sieg über den wirtschaftsliberalen Republikaner Herbert Hoover im US-Präsidentschaftswahlkampf. Roosevelt entwickelte ein Beschäftigungsprogramm für Millionen Arbeitssuchende und begann den Ausbau eines Sozial- und Wohlfahrtsstaates. Das nannte er „New Deal“, weil damit die Chancen, zumindest teilweise, neu verteilt wurden.

In der heutigen Multikrise von Klima bis Corona steht erneut die Frage, ob Chancen und gesellschaftlicher Einsatz von Mitteln neu verteilt werden können. Aber diesmal unter der Bedingung, dass es ökologisch und sozial zugehen muss, wenn es eine nachhaltige Zukunftsvision geben soll. Was also ist vom „Green Deal“ der EU zu halten?

Immerhin gibt es in Europa aktuell weitgehend Konsens, dass man diesmal nicht gegen die Wirtschaftskrise ansparen dürfe. Die EU will gewaltige Mittel mobilisieren, die EU-Kommission hat ihr mit dem EU-Haushalt der nächsten sieben Jahre verknüpftes „Recovery-Programm“ unter die Überschrift „Next Generation EU“ gestellt. Allerdings heißt Recovery „Erholung“ oder „Wiederherstellung“ eines vorherigen Zustandes. Und das kann nicht im Interesse der nächsten Generation sein, solange nicht „Ökologie“ und „Soziales“ im Mittelpunkt dieses Schecks auf die Zukunft stehen. Das griechische Wort krísis bedeutet „Entscheidung“ und „Zuspitzung“. Und darum geht es nun. Weiter wie gehabt oder fundamental anders?

Die Summen, um die es geht, sind für normale Menschen unvorstellbar. 500 Milliarden aus dem Euro-Rettungsfonds der letzten Krise, 100 Milliarden aus dem neuen Programm „Sure“ gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit, 750 Milliarden nach Vorstellungen der Kommission aus dem EU-Haushalt und dazu nationale Konjunkturprogramme mit weiteren Milliarden. Flankiert wird das Notprogramm von der Zentralbank mit Billionen schweren Anleihekäufen und der höchsten Zuteilung von langfristiger Liquidität für die Ausreichung von Krediten durch Geschäftsbanken in der Geschichte des Euro.

Solange man darauf beharrt, all dies Geld am kapitalistischen Geldmarkt aufzunehmen, handelt es sich um eine gewaltige Hypothek auf die Zukunft. Um so entscheidender ist, ob die Mittel auch zukunftsfest eingesetzt werden.

Zweifel sind angebracht. So werden Regulierungen für die Banken aus der Finanzkrise wieder gelockert. Laut Sven Giegold, für die Grünen im EU-Parlament, erhalten die Banken nun wieder völlig ungerechtfertigt Milliardengeschenke.

Für den Kern der Ausgaben über den EU-Haushalt besteht Einigungszwang der 27 Mitglieder. Auch das Nein des Zwergstaates Malta mit zweifelhaftem Leumund würde reichen, um alles scheitern zu lassen. Das lässt befürchten, dass das einmal geöffnete Scheckbuch immer größere Mittel mobilisieren soll und die einen wie gehabt ihre Agrarmittel – mit negativen Folgen für die Artenvielfalt – verteidigen und die anderen ihre Industrie – mit negativen Folgen für den Klimaschutz.

Inhaltliche Richtungsvorgaben für die Mittelverwendung will die EU-Kommission über das Instrument des „Europäischen Semesters“ sichern. Das erscheint aber kaum geeignet, weil es sich dabei um bloße Empfehlungen handelt, die die Mitgliedstaaten auch bisher geflissentlich ignoriert haben. Einfluss auf eine ökosoziale Ausrichtung können Bürger*innen daher nur national mit Druck auf ihre Parlamente nehmen.

Hans-Gerd Marian