Wie sich die Autoindustrie gegen die Verkehrswende stemmt

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Klimaschutz im Verkehr? Im Gegenteil! Flieger, Laster und Individualmobilität stoßen heute mehr Treibhausgase aus als im Jahr 1990. Wer das Pariser Protokoll einhalten will (deutlich unter zwei Grad Erderwärmung bleiben), muss die Verkehrswende organisieren.

Förderung der Bahn, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Vorrang für Fußgänger- und Radfahrer*innen, Reduzierung von Parkplätzen zugunsten von Grünflächen und Wohnungsbau in Großstädten, Taktverkehr von Bussen und Bahnen auch auf dem Land wie etwa in der Schweiz – das sind nur einige der Stichworte. Natürlich gehört auch die Förderung der Elektromobilität zu diesen Stichworten – und zwar im Bereich des öffentlichen Verkehrs, von Bussen und Bahnen (40 Prozent des Schienennetzes der Deutschen Bahn sind nicht elektrifiziert) sowie Taxen und Lieferfahrzeugen im innerstädtischen Verkehr. Hier gibt es große Potenziale, die nicht ausgeschöpft werden.

Was aber macht die Bundesregierung? Förderprogramme auflegen, die dem Individualverkehr per Pkw weiterhin Vorrang einräumen. Dass dieser Individualverkehr in Deutschland mit 3.275 Verkehrstoten im Jahr 2018 einherging, davon ein immer höherer Anteil Fahrradfahrer*innen, wird verdrängt.

Tempolimits sind tabu

Tempolimits (120/90/30), die ohne besondere Kosten mit einer deutlichen Reduktion der Emissionen einhergingen, sind in der Politik mit wenigen Ausnahmen nach wie vor tabu. Zu mächtig scheint die Autolobby. Kein Wunder, wenn der Volkswagenkonzern der größte Auftraggeber für bezahlte Werbung in den Medien Europas ist.

Großdemonstration für die Verkehrswende
Wenn die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt ihre Tore für Besucher*innen eröffnet, werden Tausende Menschen für eine schnelle Verkehrswende und den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor demonstrieren. Mehr Informationen:
www.naturfreunde.de/aussteigen-demo-raus-aus-dem-verbrennungsmotor

Oberste Maxime der Autobauer, die nach wie vor den industriellen Leitbereich in Deutschland darstellen, ist der Profit. Das mag im Kapitalismus nicht überraschen, erst recht nicht nach der Dieselaffäre. Dennoch ist abzusehen, dass die Wachstumsstrategie der deutschen Konzerne nicht nachhaltig sein kann.

Europas Autoindustrie steht vor einem Dilemma. Der Kohlendioxid-Ausstoß über die gesamte Fahrzeugflotte eines Herstellers darf ab 2021 im Durchschnitt 95 Gramm pro Kilometer nicht übersteigen. Andernfalls werden Strafzahlungen fällig. So will es der Gesetzgeber. Dem folgen weitere Verschärfungen ab dem Jahr 2030.

Der SUV-Anteil steigt rapide

Im VW-Konzern, dem größten Autobauer Europas, liegt der Wert im Jahr 2019 aber bei 123 Gramm und damit höher als noch im Jahr 2014. VW hat also in Sachen Klimaschutz in den letzten fünf Jahren keine Fortschritte gemacht. Ganz im Gegenteil steigt der Fahrzeug-Anteil mit schlechten Kohlendioxid-Werten rapide, auch unabhängig von VWs Betrugsdieselautos. War man im Konzern nach der Ölkrise der 70er-Jahre noch stolz auf schnittige Fahrzeuge mit geringem Widerstand im Fahrtwind, verkauft VW heute hohe und eckige Kisten.

Audi warb früher mit niedrigem Fahrwiderstand für seine Quattros, heute erfährt man den cw-Wert nicht einmal mehr auf Anfrage. Die schweren Sports-Utility-Vehicles (SUV) verbrennen zudem besonders viel Treibstoff. Weil sie aber besonders viel Gewinn bringen, strebt VW an, den SUV-Anteil, der im Jahr 2018 bei 23 Prozent lag, schon 2019 auf 33 Prozent zu steigern. Damit wird das vom Gesetzgeber gesteckte Ziel von 95 Gramm Kohlendioxid für die Wolfsburger unerreichbar.

Es sei denn, man hilft sich mit einem Zaubertrick. Den liefert diesmal nicht der „Schummel-Software“-Bauer Bosch, sondern die Politik als Gesetzgeber, der Elektroautos als Nullemissionsfahrzeuge definiert, obwohl bei Produktion und Betrieb Kohlendioxid freigesetzt werden.

Hundert Jahre elektromobil

Der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess ist zuversichtlich, dass VW so zum größten Konzern der Welt werden kann: „Meine Prognose ist: Das wertvollste Unternehmen der Welt in zehn Jahren wird ein Autounternehmen sein.“ Die Zukunft der Automobilität werde emissionsfrei und unfallfrei. „Was aus heutiger Sicht bleibt, ist der Stau.“ Diess macht damit klar, dass VW kein Interesse an einer Verkehrswende hat, sondern voll und ganz auf den individualisierten Pkw-Verkehr setzt.

Elektromobil fahren kann man in Deutschland seit mehr als 100 Jahren – in Straßenbahnen und mit der Eisenbahn. Hier hätte der Gesetzgeber ein großes Potenzial für eine echte Verkehrswende. In vielen westdeutschen Städten und in Westberlin wurden in den 60er-Jahren die Straßenbahnen zugunsten des Pkw-Ver-kehrs abgebaut. Hier wieder leistungsfähige Netze aufzubauen, wäre gut für das Klima und die Lebensqualität. 40 Prozent des Eisenbahnnetzes in Deutschland werden mit Dieselloks befahren. Auch hier wäre Elektromobilität von Nutzen.

Stattdessen fördert die Politik Pkw-Dienstwagen mit Hybridantrieb. Wer sich einen Landrover mit 500 PS und einem Benzinmotor plus Elektromotor (Reichweite 50 Kilometer) in die Garage stellt, zahlt nur noch die Hälfte der Steuer für die private Nutzung eines Dienstwagens. Ohnehin sind die meisten Elektrofahrzeuge Zweit- oder Drittauto.

Steuerzahler soll Infrastruktur für Elektroautos finanzieren

Untersuchungen zeigen, dass die vermeintliche Emissionsfreiheit der Elektroautos ihre Besitzer dazu verführt, Wege, die sie bisher zu Fuß oder per Fahrrad zurückgelegt hatten, nun mit dem Pkw zu erledigen. Solange das Elektromobil mit dem deutschen Strommix fährt, hilft das nicht, sondern schadet dem Klima: Der Kohleanteil lag im Jahr 2018 bei gut 35 Prozent.

Frankreich und Deutschland haben sich darauf verständigt, ein erstes Batteriewerk mit 500 Millionen Euro zu fördern. Der Subventionsempfänger ist der französische Batteriehersteller SAFT, eine Tochter des Ölriesen Total, für den Investitionen von einer halben Milliarde eher kleine Projekte darstellen. Aber was man mitnehmen kann, nimmt man mit. Das gilt auch für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Obwohl die Automobilkonzerne und die Ölkonzerne mit ihren Tankstellen Milliarden Gewinne einfahren, gilt es als gesetzt, dass die E-Auto-Infrastruktur von Steuerzahler*innen subventioniert werden wird.

Wenn man schon auf Individualverkehr im E-Auto setzen wollte, dann wären schnittige Solarflitzer in Leichtbauweise wie die „Lightyear One“ aus Eindhoven erste Wahl. Doch für solche Nischenprodukte interessieren sich die deutschen Autobauer so wenig wie für das Einliterauto, das VW schon vor Jahren entwickelt hatte, aber nicht vermarkten wollte.

Audi e-tron: 408 PS in der Basisversion

Der erste vollelektrische Audi e-tron ist ein SUV mit 408 PS. Vergleichbar der vollelektrische Mercedes EQC mit ebenfalls 408 PS und einem Preis von 77.500 Euro in der Basisversion. Der automobile Wahnsinn geht also elektrisch weiter. Das gilt auch für BMW. Der neue X5 xDrive45e kommt als Plug-in-Hybride. Mit einem Elektromotor und einem Benzinmotor trägt das Fahrzeug einen doppelten ökologischen Rucksack mit erhöhten Kohlendioxid-Emissionen schon vor dem ersten gefahrenen Kilometer. 394 PS sollen das 2,5 Tonnen schwere Vehikel bewegen.

Den größten und schnell zu realisierenden Effekt einer Kohlendioxid-Minderung im Verkehrssektor hätte ein generelles Tempolimit auf Autobahnen (120), Landstraßen (90) und im Ortsbereich (30). Und das fast zum Nulltarif.

Stattdessen soll die Elektromobilität Wunder vollbringen. Übernimmt man die optimistischen Schätzungen der Automobilwirtschaft, würde der weltweite E-Kfz-Bestand bis zum Jahr 2025 auf etwa 150 Millionen Einheiten steigen. Das wäre ein Anteil an der Gesamtfahrzeugflotte von gerade einmal zehn Prozent. Im gleichen Zeitraum würden aber 275 Millionen zusätzliche Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor die Erde befahren.

Der Preis dafür lässt sich in Celsius oder Fahrenheit messen. Er wird von uns allen und den kommenden Generationen bezahlt werden, wenn es nicht gelingt, eine echte Verkehrswende in Gang zu setzen, die den Klimazielen gerecht wird.

Wie sagt das Navi so schön: Bitte wenden, bitte wenden Sie jetzt!

Hans-Gerd Marian

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