Wie sich reiche Gruppen der Gesellschaft Einfluss und Vorteile erkaufen

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Befragt man den Duden, was Lobbyismus ist, dann erfährt man, dass es sich dabei um den Versuch der „Beeinflussung von Abgeordneten oder anderen Vertreterinnen und Vertretern offizieller Stellen durch Interessengruppen“ handelt. Neben dem direkten Kontakt wird auch der Draht zur „Vierten Gewalt“ gesucht, den Medien. Denn wenn eine Lobbythese durch die Medien gegangen ist, dann ist es auch einfacher, sie in die Politik einzupflanzen.

„Problematisch wird es, wenn die Artikulation partikularer Interessen in die verfassungsmäßigen Verfahren staatlicher Willensbildung hineinzuwirken beginnt“, urteilte vor 13 Jahren Hans-Jürgen Papier, damals Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Auf gut Deutsch: Wenn kleine, zumeist reiche Gruppen der Gesellschaft versuchen, durch Lobbying ihre eigenen Interessen durchzusetzen, ist Lobbyismus problematisch. Das zeigte sich bei der Reform der Erbschaftssteuer genauso wie beim Kohlekompromiss: Einige wenige verdienen auf Kosten des Gemeinwohls.

Lobbyist*innen widersprechen natürlich: „Public Affairs“ nennen sie ihre Arbeit, „Politikberatung“. Woher zum Beispiel sollen Politiker*innen im fernen Berlin wissen, wie ihre Entscheidungen etwa zum Strommarkt die Arbeitsplätze in der Aluminiumindustrie gefährden? Große Konzerne müssen die Abgeordneten also „beraten“ und haben sich dafür im Gesamtverband der Aluminiumindustrie (GDA) zusammengeschlossen, einem eingetragenen Verein im Vereinsregister Düsseldorf (Nr. 7673).

Es ist nicht bekannt, wie viele Mitglieder der Verein hat, wie viele Mitarbeiter*innen, welches Jahresbudget. Bekannt ist hingegen, dass „leere Getränkedosen im Wald nichts zu suchen haben“, wie es in der Sendung mit der Maus des WDR hieß. Erklären konnte das die Sendung „auch dank der Hilfe des GDA“, wie der Gesamtverband der Aluminiumindustrie auf seiner Homepage vermeldet. Ein klassischer Fall von Lobbyismus, denn wenn der Wald voller Getränkedosen liegt, könnte die Politik auf die Idee kommen, ein Dosenpfand einzuführen.

Um nah an den Entscheidungsprozessen dran zu sein, unterhalten solche Organisationen „Hauptstadtbüros“ – und Konzerne eine „Hauptstadtrepräsentanz“. Hier wird nichts produziert, aber nicht selten wird genau hier über den wirtschaftlichen Profit entschieden; wenn es der Autolobby beispielsweise gelingt, die Bundesregierung zu überzeugen, strengere Klimaschutz-Vorgaben in Brüssel zu blockieren. Schätzungen zufolge arbeiten in Berlin 6.000 Lobbyist*innen. Zum Vergleich: Der Bundestag hat 631 Abgeordnete. Der Verein Lobbycontrol bietet Stadtführungen zu Lobby-Büros an, die vorzugsweise die Postleitzahl 10117 tragen, jene Gegend in Berlin-Mitte, wo die Mieten am teuersten sind, der Weg zur Macht aber rasch zu Fuß erledigt werden kann.

Der Begriff „Lobbyist“ – vom englischen „Lobby“ – legt nahe, dass der*die Interessenvertreter* in in der Vorhalle versucht, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. In Berlin sind es auch bestimmte Cafés, in denen Volksvertreter* innen dabei beobachtet werden können. Was ist schon schlecht daran, Volksvertreter*innen vor Augen zu halten, welcher wirtschaftliche Schaden in der Aluminiumindustrie entsteht, wenn tatsächlich das Dosenpfand erhöht wird.

Konzerne „begutachten“ Gesetze

Doch ganz so trennscharf läuft es nicht ab. Viele Lobbyist*innen sitzen sogar sichtbar mit am Tisch, wenn politische Entscheidungen fallen. Als sogenannte „Leiharbeiter“ oder „Externe Berater“ arbeiten sie in den Ministerien und sind so selbst an Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Dafür werden diese Lobbyist*innen sogar vom Steuerzahler bezahlt. Ursula von der Leyen finanzierte beispielsweise in ihrer Zeit als Bundesverteidigungsministerin eine ganze Berater-Armee: 200.000 Euro gab sie für sieben Monate Arbeit aus – und zwar pro Person.

Mehr als 100 Beschäftigte von Konzernen und Lobby-Verbänden sitzen in Bundesministerien und arbeiten dort im Zweifelsfall an Projekten, die ihrem Arbeitgeber helfen. Oftmals werden diese Leute sogar von jenen Konzernen bezahlt, die sie ins Ministerium entsandten. In der Energiebranche war jahrelange Praxis, dass energiewirtschaftliche Gesetze zuerst von den Energiekonzernen „begutachtet“ wurden, bevor sie in den Gesetzgebungsprozess eingespeist werden konnten. Nicht selten sah das Gesetzesvorhaben nach der Begutachtung durch die Konzerne anders aus, als von der Politik ursprünglich geplant.

Über die Kosten der Berliner Lobby-Büros der Konzerne existieren keine Zahlen. Schätzungen des Bundestages gehen aber von jährlich mindestens 500.000 Euro pro Büro aus und nahezu alle der 100 größten deutschen Firmen unterhalten eine eigene Hauptstadtrepräsentanz. Guido Knott, ehemals Leiter der Konzernrepräsentanz des Energieriesen Eon: „Lobbying ist teuer, kein Lobbying ist viel teuerer.“

Spitzengehälter für Spitzenpolitiker*innen

Eine besonders effektive Methode des Lobbyings ist es, Spitzenpolitiker*innen mit Spitzengehältern aus ihrem Amt heraus zu kaufen: Hildegard Müller zum Beispiel, die bis zum Jahr 2008 im Range einer Staatsministerin im Kanzleramt für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Fäden zum Bundesrat und den Ländern organisierte. Die Vertraute der Kanzlerin wechselte ausgerechnet zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), dem Lobby-Verband der Kohle- und Atomwirtschaft. Dort machte Hildegard Müller Stimmung gegen Ökostrom und für kostengünstige Emissionszertifikate für die Kohlekraftwerke, für den Netzausbau oder gegen die geplante Kohlesteuer. Müller hatte oft Erfolg und verhinderte so, was für mehr Klimaschutz nötig gewesen wäre.

Oder Eckart von Klaeden zum Beispiel: Im Oktober 2009 machte Angela Merkel von Klaeden zu ihrem Staatsminister im Bundeskanzleramt. Insgesamt siebenmal traf sich Staatsminister von Klaeden zwischen 2010 und 2013 im Kanzleramt mit Vertreter*innen der Automobilindustrie, darunter dreimal mit Vertreter*innen von Daimler. Im Mai 2013 wurde bekannt, dass von Klaeden Chef-Lobbyist bei Daimler wird. Er kennt die Vorgänge im Kanzleramt, hat Telefonnummern aller relevanten Politiker parat, und es gibt sicherlich den einen oder anderen Gefallen, den ihm seine ehemaligen Mitarbeiter*innen im Kanzleramt noch schulden.

Oder Ronald Pofalla: Er war bis Ende 2013 Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, zuvor CDU-Generalsekretär. Dann wechselte Pofalla in den Vorstand der Deutschen Bahn. Wie später bekannt wurde, hatte der damalige Bahnchef Rüdiger Grube Pofalla noch während seiner Zeit als Kanzleramtsminister angesprochen. Der CDU-Politiker rettete der Bahn das Prestigeprojekt Stuttgart 21: Wenige Tage, bevor der Aufsichtsrat über die Zukunft des umstrittenen Vorhabens entscheiden sollte, zitierte Pofalla die drei Staatssekretäre, die die Bundesregierung im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn vertreten, ins Kanzleramt. Man beriet sich. Man redete über die politischen Folgen eines Ausstiegs aus Stuttgart 21. Kurz darauf ging die Meldung über den Ticker: „Bahn darf Stuttgart 21 trotz Mehrkosten weiterbauen.“

Spätestens jetzt wird deutlich, wie demokratiefeindlich der Lobbyismus ist. Stets wird mit viel Geld für partikulare Interessen und gegen das Gemeinwohl intrigiert. Es ist eben nicht im Interesse des Volkes, einen milliardenteuren Bahnhof zu bauen (den das Volk bezahlen muss). Es ist eben nicht im Interesse des Volkes, dass weiterhin mit Massentierfabriken viel Geld verdient wird. Und die verhinderten Klima-Grenzwerte für Neuwagen sind auch nicht im Volksinteresse. Durchgesetzt wurden solche Interessen von einigen wenigen lediglich, weil sie mit genügend Geld die richtigen Leute beeinflussen können.

Umweltschutz, Daseinsvorsorge oder die Pflege im Alter: Überall dort, wo es für einige wenige nichts zu verdienen gibt, gibt es auch keine Lobbys. Immer dann, wenn das allgemeine Interesse im Vordergrund gegen die partikularen Absichten weniger steht, fehlen die Lobbyist*innen. Dann müssen Aktivist*innen kämpfen wie im Hambacher Forst oder im Verein Mehr Demokratie – aus Überzeugung, ohne persönlichen Vorteil, nicht oder schlecht bezahlt.

Wenn es wenigstens Transparenz gäbe: Nur selten kommt heraus, wer an welcher Schraube gedreht hat. Kritiker wie der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow fordern deshalb ein Register, das zu jedem Gesetzgebungsverfahren vermerkt, wer an welcher Stelle Einfluss genommen hat.

Immerhin gibt es mittlerweile eine Karenzzeit: Wer ein hohes politisches Amt innehat, darf für einen Zeitraum von zwölf Monaten nach Mandatsende nicht in den Lobbyismus wechseln. Zehn Jahre hatten Aktivist*innen von Lobbycontrol für diese Regelung gekämpft. Finanziert wurden sie in überwiegendem Maß von der Allgemeinheit über Spenden und Zuschüsse.

Im Jahr 2015 war damit Schluss, der Bundestag verabschiedete ein entsprechendes Gesetz. Das zeigt: Die Interessen und den Einfluss der Lobbyist*innen zurück zu drängen, ist möglich. Die Bundesrepublik Deutschland ist eben keine Bananenrepublik.

Nick Reimer